Warum einer Künstler wird.
„Ich konnte mit vierzehn Jahren besser zeichnen als die anderen Jungs und die Mädchen fanden das toll.“ (Georg Baselitz)
Tannengrün und Schlachtgetöse
Wer möchte bezweifeln, dass die Umgebung in der ein Kind aufwächst erheblichen Einfluss auf dessen späteren Lebensweg nimmt? Günter Limburg wuchs am Waldrand eines von Bergbau geprägten Eifelortes auf. Im Brockhaus soll der Eifler einst als Angehöriger eines hinterlistigen Bergvolkes am Rande des Mosellandes beschrieben worden sein. Kaiser Wilhelm soll wohl bei der Inspektion seiner entlegenen Provinz gesagt haben, dass dies ein hervorragender riesiger Truppenübungsplatz sei. Nur schade, dass dort Menschen wohnen. Der 1960 geborene Limburg hatte keine peer group und zog alleine durch den Wald. Er dachte sich Spiele aus die er alleine spielen konnte und ließ seine grenzenlose Phantasie frei schweben und gedeihen. Das dunkelgrüne Licht, der wohlige Tannenduft und je nach Jahreszeit der Geruch von Pilzen im Regen, Moos oder Heidelbeeren. Die enge Bindung an seine Familie, die sich im Winter am Emaille Ofen in der Küche sammelte, atmete ein wenig den Hauch des Auenlandes, wie es Tolkien beschrieben hat. Zwischen Hobbit und Krieger angesiedelt war er, denn sein Spielplatz der Wald war übersäht von Bombentrichtern, die sich mittlerweile mit Wasser gefüIIt hatten und zum Lebensraum von Fröschen geworden waren. Es gab auch trockene Bombentrichter, in denen die älteren Jungs heimlich rauchten und ihre Schätze versteckten. Nicht nur Streichhölzer und Zigarettenschachteln, manchmal auch ein Rest Fusel. Gerne auch Lektüre in Form des anzüglichen Sexblättchens „St. Pauli Nachrichten“. Also alles was gefühIt erwachsen machte und was man denen, die dies kaufen durften, heimlich mopste . Sein Heimatort KaII beheimatete unglücklicherweise einen kriegswichtigen Bahnhof, der von den Alliierten mit Bombardements belegt worden war. Der Krieg war für den Jungen selbst in den 60er Jahren allgegenwärtig. Tagsüber hörte er das monotone Stakkato des Maschinengewehrfeuers vom nahegelegenen belgischen Truppenübungsplatz Vogelsang. Er zuckte zusammen wenn Düsenjäger donnernd im Tiefflug über die Hügellandschaft jagten. Schier endlose Militärkolonnen mit Panzern waren auch keine Seltenheit. Irgendwie hatte die Vision des Kaisers die Eifel eingeholt.
Der Pfaffe und die Comic-Ente
Die Iändliche Bevölkerung, die sich gerade daran gewöhnte aus dem selbstständigen Bauerntum in angestellte Arbeitsverhältnisse zu wechseln, war streng autoritär und katholisch geprägt. Eine evangelische Freundin zu haben wäre unvorstellbar gewesen. Verendete trotz aller gebeteten Rosenkränze eine Kuh jämmerlich im heimischen Stall, überlegten die strenggläubigsten unter den Verwandten, wessen Sünde den lieben Gott zu dieser harten Strafe veranlasst hatte. Die Vorstellung eines alles sehenden und strafenden Gottes, dessen steifgesichtig frommer Vertreter der stets bedrohliche Dorfpfarrer war, verängstigte den Jungen bei seinen obligaten Kirchgängen so sehr, dass er sich einen eigenen Notausgang schuf. In der entrückenden Leuchtkraft der farbigen Kirchenfenster zu versinken, half ihm sein quälendes Bauchweh zu lindern und leuchtende Farben zu lieben. Der österreichische Maler Gottfried Helnwein erzählte, dass er in drei Städten wohne. In Wien, Los Angeles und in Entenhausen. Der Aufenthalt in Entenhausen, mit seinen lustigen Kumpanen aus den Walt Disney-Comics, war sein Fluchtweg aus der allgegenwärtigen Depression seiner Heimatstadt Wien in der Nachkriegszeit. Auch für Limburg wurden die Heftchen zum fröhlichen Lebenselixier. Mit ihrer Hilfe konnte er sich in eine Welt versetzen, die weniger morallastig schien und in der Religion, Gott und Tod nicht vorkamen. Vor allem war diese Welt bunt, jedes Bild war ein kleines Kunstwerk.
Götter mit Pilzköpfen und die Qual der Wahl
Beatmusik und Pop Kultur kleideten das Leben des Jungen aus, der aufs Gymnasium geschickt wurde. Aus der gefühlt warmen Hobbithöhle führte der Weg nun in die merklich kühlere Welt der wissenschaftlichen Standpunkte. Hier ergaben sich neue Blickwinkel auf schon lange mitgeschleppte, bisher nicht formulierte Fragen. Auch nach manchen Zwiespältigkeiten der Auenländer und der hinterlistigen Bergbewohner. Lehrertypen, die gerne auch als Vorbilder gewählt werden, sollten Antworten geben. Die Frage war, welcher von jenen, deren Wesen und Überzeugungen weit auseinanderklafften? Der stets betrunkene grandiose Chemiker? Oder der Provokateur, der den Mädchen die Pille versprach, falls dies die Eltern untersagten? Etwa der radikale Darwinist, der die Reduzierung der Weltbevölkerung forderte? Der Pfaffe, der den moralischsten aller Aufklärungsunterrichte, mit stierem Blick auf die Beine der Erstbänkler, aufführte? Limburg entschied sich für den Geographen, der seinen Schülern das kritische Denken erbarmungslos einprägte. Diagramme absichtlich falsch interpretierte und die Klasse zusammenfaltete, wenn ihn niemand der Täuschung überführte. Und er entschied sich für den ungarischen Exilkünstler, der meist von den überwiegend desinteressierten Blagen geplagt und genervt wurde. Der fest daran glaubte, dass Kunst die Welt verändern kann. Das Wesen des Künstlertums zwischen Menschenliebe, Aufklärung und der Magie des Verzauberns ansiedelte. Niemand konnte die Frage nach dem Wesen des Menschen schlüssig erklären. So hoffte der junge Mann Antworten bei Siegmund Freud zu finden. Er gab sich die Mühe dessen Gesamtwerk zu lesen und fand, dass dieser womöglich nur seine eigenen sexuellen Neurosen zu verallgemeinern und zu erklären suchte. Und dass das Leben wohl die Antwort geben müsse. Die Frage jedoch welchen Beruf jemand ergreifen möchte beantwortet sich wohl letztlich auf der Basis seiner Anlagen. Das Kind das einsam phantasierend durch das Tannengrün streifte, eignete sich wohl für den kreativen Elfenbeinturm. Seine aus der Not erworbene Liebe zur Farbe und das vom Vater ererbte zeichnerische Talent qualifizierten ihn erst recht. Jedenfalls auch das Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Menschen und der Gesellschaft. Limburg fand für sein Kunststudium den für all dies wie geschaffenen Professor. Den Tschechischen Exilkünstler Pravoslav Sovak, der an der Kölner Werkkunststelle lehrte.
Sein achtel Lorbeerblatt
„…am Hungertuch zu nagen ist des Künstlers schönstes Los. Im Gegenteil, so prunkvoll wie ein Papst sein macht ihn groß (…) Hauptsache ist, er hat ’ne Macke und nicht alle Tassen im Schrank“ Mit diesen Worten setzte sich einst der Barde Reinhard Mey in seinem Chanson “Mein achtel Lorbeerblatt” mit dem Künstlertum auseinander. Und mit den Lorbeeren des Ruhmes, welche man vielleicht damit erwerben mag. Wie hat ein Künstler zu sein? Vor allen Dingen nicht normal. Ist das so? Erzählt Limburg von seiner Künstlerkarriere erschließt sich, dem sich normal wähnenden, Zuhörer nicht wirklich alles. Aber womöglich sind gerade die Wege der Kunst sonderbar und prägen jene, die versuchen sich an diesem Weg entlang zu hangeln.
Doch der Reihe nach. Zu seinen ersten Ausstellungen musste man den jungen Kunststudenten beinahe hinprügeln. Das Menschlein aus dem Auenland auf dem Umweg über die nüchtern berechnende Wissenschaft auf dem eitlen Parcours der Kunstwelt gestrandet, konnte bereits mit dem teils pfauenhaften Gehabe seiner Kommilitonen wenig anfangen. Er fing sich Häme und Spott von jenen ein. Wie bei der Podiumsdiskussion seiner Hochschule im Kölner Museum mit dem städtischen Kunstdezernenten. Einer jener die man nicht vergraulen sollte, wollte man Karriere machen. Ihm und seinen Kommilitonen gegenüber verglich er die Rezeption jener medial gehypte internationalen Ausstellung von allergrößter Bedeutung mit des Kaisers neuen Kleidern. Unverständig dass nicht alle bemerkten welche Objekte künstlerischer Irrelevanz dort über den grünen Klee gepriesen wurden. Hatte er nicht von seinem Geographielehrer die Prägung erhalten alles kritisch zu hinterfragen? Und sich zu trauen Täuschungen zu enttarnen? Auf der Seite der hämisch spottenden stand jedoch die Erkenntnis, dass man mit dem Strom schwimmen sollte, zumindest wenn man Geld verdienen und zum Ruhme, ergo zum Lorbeerkranz, gelangen wollte. Limburg wollte nicht “auf der Welle reiten.” Und wähnte sich nicht als Künstler.
Aber die Welle erwischte ihn dennoch. Später. Mit dem Kunststudium verhält es sich vielleicht wie mit dem Erwerb des Führerscheins. Fahren lernt man erst in der Praxis und nicht mir der Aushändigung des dazu berechtigenden Zertifikates. Das Leben und die Lebenserfahrung macht den Künstler, so Limburg. Nach der Studienzeit führte er seinen Semesterjob fort und zog sich in den Elfenbeinturm zurück. Ende der 80er Jahre hörte er auf seine „gefälligen“ Bilder auszustellen und zu verkaufen. Er wollte erst wieder damit beginnen, wenn die Qualität und der Tiefgang seiner Kunst es für ihn rechtfertigte. Und dies war dann im Jahr 1991 der Fall. Wie so viele lief er mit seiner Mappe unter dem Arm durch die damalige “Weltkunststadt” Köln und dockte in der renommierten Galerie Ruchti modern Art, einem Kölner Urgestein und Mitbegründer des Vorläufers der Art Cologne, an. Ein weiterer Kunsthändler, über den Limburg nicht mehr gerne spricht, hatte ihn bereits vorher “entdeckt”, und zu vermarkten begonnen..
Limburg ritt die Welle, schwamm nun mit dem Strom, lernte die „Malerfürsten“ kennen, wurde mit ihnen ausgestellt. Mit Ralf Winkler alias A.R. Penck verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis. Penck stellte Limburg in einer seiner Villen aus. Spielte auf Limburgs Vernissage mit seiner atonalen Band. Auch Penck war nicht der „Möchte-gerne-Star“ besuchte später seine eigenen Ausstellungen nicht mehr. Vielleicht hatte der Weltstar diese Tendenz auch bei dem jungen Kölner gespürt. Limburg schien nun angekommen, die Weichen für die ganz große Karriere gestellt. So saß der Mittdreißiger nun mit der Prominenz aus Politik und Geldadel am Tisch, passte sich äußerlich den Anforderungen an seine neue Rolle an, legte sich auf den Rat einer Mäzenin –nicht ungerne- einen prunkvollen Sportwagen zu und trug Anzüge. Lernte sich vor der Kamera zu äußern und schrieb Autogramme. Erhielt Prämien um zu seinen Ausstellungen zu erscheinen und Gratisaufenthalte im Top Hotel der jeweiligen Stadt. Lehnte ein Angebot für eine Kunstprofessur in Accra / Ghana, wegen des zu geringen Gehaltes von 250 Dollar pro Monat ab. Für ghanaische Verhältnisse seinerzeit eine geradezu fürstliche Entlohnung.
Der Crash begann Ende der 90er Jahre. Wie schon manche bekannte Musik-Band musste der Künstler irgendwann konstatieren von seinem niederrheinischen Kunsthändler um eine Unmenge Geldes betrogen worden zu sein. Woraufhin er die Geschäftsbeziehung einstellte. Kein kluger Zug, wie manche fanden, verlor er letztlich dadurch auch die Kontakte zu den “Malerfürsten”. Sein Galerist Franz Michael Ruchti hatte sich aus gesundheitlichen Gründen aus dem Geschäft zurückgezogen. Zwar arbeitete Limburg ab und an mit Galerien zusammen, wurde zeitweise in anderen Städten wie in Hamburg von Galerien vertreten, jedoch verlegte er sich überwiegend auf Selbstvermarktung, was in erster Linie für ihn Selbstbestimmung bedeutete. Hängte seine Anzüge zurück in den Schrank und fand sich wieder im Elfenbeinturm. 1998 gründete er seine eigene private Kunstschule. Kunst ist eine Form freier Meinungsäußerung, die jedem Menschen zusteht. Nicht nur den wenigen die die Hürden der Aufnahmeprüfungen der Akademien überwinden, so Limburg. Und immer wieder stellt sich, so der Künstler, die Frage nach der inhaltlichen Qualität.
Erfreut über die Möglichkeiten der virtuellen Welt, begann er in den 10er Jahren systematisch universitäre Vorlesungsreihen zu konsumieren. Kunstgeschichte bei der Angewandten in Wien, Kulturwissenschaft und Ökonomie in Linz, Philosophie in Hannover und so weiter. Dies veränderte seine Kunst. Machte sie, seiner Meinung nach, gehaltvoller. Hatte er seine Erfolge in den 90er Jahren als junger Wilder mit expressionistischem Impetus erzielt, wurde er nun wieder nachdenklich. Die bereits in seiner Gymnasialzeit aufgeworfene Frage nach dem Sein und nach der Gesellschaft brach sich wieder Bahn. Von ihm konstatierte bedenkliche Veränderungen in der Gesellschaft suchten nach Antworten und künstlerischer Bearbeitung. 2017 lernte Limburg einen Professor für kritische Theorie von einer hochrangigen amerikanischen geisteswissenschaftlichen Fakultät kennen, der seitdem seine Werke sammelt. Im Dialog mit ihm entstand der Gedanke ein „Erbe“ anzutreten, welches seiner künstlerischen und biografischen Herkunft entsprechen sollte.
Die dazu benötigten Ankerpunkte fand er in drei Menschen die zu seiner Prägung bedeutend beigetragen hatten. Die allesamt durch Totalitarismus geschädigt wurden und diesem dennoch irgendwie entkommen waren. Sein leiblicher Vater, der schwer verletzt den zweiten Weltkrieg im Nationalsozialismus überlebt hatte. Erste Urlaubserfahrungen machte Limburg als kindliches Anhängsel der Eltern in Kuranstalten für Kriegsbeschädigte, wo er mit Menschen mit vom Krieg grausam zerstörter Physis und Psyche konfrontiert wurde. Und seine beiden künstlerischen Ziehväter, seine Lehrmeister die dem Kommunismus des Warschauer Paktes entkommen waren. So fand er die Aufgabe sich mit Macht –und Weltbildern und totalitären Strömungen künstlerisch zu beschäftigen. Letztlich ist seine Kunst nunmehr zu einer Synthese seines gesamten Werdegangs geworden. Das Wilde, das Provokante, das Empathische und das Tiefgründige. Seine Werke zeigen klassisch ausgearbeitete Portraits, kombiniert mit ausgetobter Abstraktion an sensibler Balance. Auch die Comic-Elemente, teils als humoriger Sarkasmus inszeniert, sind immer noch vorhanden. Lediglich seine Farbbrillianz, den Rausch erzeugenden Klang seiner immer grellen Farben, früher eines der Attribute die ihn auszeichneten, opferte er vor dem Hintergrund seiner heutigen Weltperspektive. Frei nach Adorno: in manchen Zeiten kann man keine schönen Bilder malen.
Was bedeutet ihm heute seine Karriere? Zurück zum Anfang und zum Lied von Reinhard Mey, so kommen wir zu Limburgs Attitude: „Habt Dank für das achtel Lorbeerblatt, auf dem ich tun kann, was ich will.“